Kinder in Bewegung sitzen besser am Pult

Auch Kinder klagen immer mehr über Rückenschmerzen. In Wettingen wurden Erstklässler durch Alexander-Technik in Körperwahrnehmung und natürlicher Körperhaltung unterrichtet. Das Projekt «Gesunde Bewegung in der Schule» war ein grosser Erfolg.

«Felix, nun setz dich doch wenigstens gerade hin», ermahnt ihn sein Vater schon zum dritten Mal. Der Achtjährige kniet gekrümmt auf dem Sofa und sieht fern: voller Anspannung und Konzentration. Er hört die mahnende Stimme schon gar nicht. Als er dann endlich aufsteht, kann er kaum gerade stehen. Er stöhnt über seine Rückenschmerzen und erklärt, er könne häufig auch in der Schule nie länger sitzen, ohne dass er Schmerzen im Kreuz spüre.
Felix ist kein Einzelfall. Ob wegen Bewegungsmangel, Übergewicht oder Fehlbelastungen - es ist eine Tatsache, dass Kinder immer häufiger unter Rückenschmerzen klagen. Studien der Universitäten Basel, Hamburg und Karlsruhe belegen, dass schon ein Drittel aller Schulanfänger eine Haltungsschwäche aufweist. Und von 100 Kindern und Jugendlichen zwischen 11 und 16 Jahren, die wegen Rückenschmerzen den Arzt aufsuchen, werden bei 74 Schäden an der Wirbelsäule festgestellt.

Verbessertes Körperempfinden
Adrian Mühlebach aus Wettingen kennt diese Probleme als Lehrer aus seiner Praxis für Alexander-Technik. Im Sommer 2002 ergriff er deshalb die Initiative und schlug der Primarlehrerin Anica Müller das Präventionsprojekt «Gesunde Bewegung in der Schule» vor. Sie sei sofort davon überzeugt gewesen, erklärt Anica Müller auf Anfrage. «Bevor das Projekt begann, hatte ich mehrere Sitzungen bei Adrian Mühlebach und lernte die Übungen kennen.» Sie habe selber schon bald gespürt, wie sich eine bewusste Körperhaltung positiv auswirke und das allgemeine Körperempfinden verbessere.
Im ersten halben Jahr besuchte Adrian Mühlebach die 22 Kinder alle 14 Tage, danach einmal im Monat. Anhand eines menschlichen Skeletts erklärte er ihnen in kleinen Unterrichtseinheiten, wie ihr eigenes Knochengerüst aufgebaut ist und funktioniert. Er zeigte den Erstklässlern auch, wie wichtig richtiges Sitzen auf einem ergonomischen Stuhl ist und weshalb die Höhe des Pults stimmen muss.
In einer praktischen Sequenz wurden die Schüler anschliessend jeweils in Alexander-Technik unterrichtet. «Es geht darum, ihre Fähigkeit, eigene Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten wahrzunehmen und zu fördern», betont Mühlebach. Dabei werde der Bewegungsorganisation beim Schreiben besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die einzelnen Kinder würden durch Berührungen, geführte Bewegungen und verbale Anweisungen angeleitet. «So erfahren sie, wie sie körpergerecht am Pult sitzen, schreiben und zeichnen können. Neben dem Sitzen in einer natürlich aufrechten Haltung lernen die Kinder, den Bleistift möglichst leicht in der Hand zu halten, ohne dabei die Muskulatur von Hand, Arm und Schultern unnötig anzuspannen.»
«Diese Arbeit ist mit Erstklässlern ideal, denn sie sitzen viel mehr als im Kindergarten», erklärt Mühlebach. Doch das Bewegungsverhalten der Kinder werde auch im Liegen, Stehen, Gehen sowie beim Hinsetzen und Aufstehen geschult.

Spürbare Veränderungen
Mit der Zeit sei aufgefallen, dass es den Kindern zunehmend leichter fiel, eine gute Sitzposition einzunehmen oder den Bleistift viel gelöster über das Blatt zu führen. «Es ist viel passiert, die Kinder schenken ihrem Körper und ihrer Bewegung mehr Aufwerksamkeit.» Adrian Mühlebach erwähnt in diesem Zusammenhang auch die positive Zusammenarbeit mit Anica Müller. Sie habe den Unterricht so gestaltet, dass die Kinder nie zu lange am Pult sitzen mussten, sondern immer wieder Gelegenheit hatten, aufzustehen und sich zu bewegen. Für die kleinen Pausen stand im Schulzimmer eine Kiste mit verschiedenen Bewegungsspielgeräten bereit.
Auch Anica Müller kann nur von positiven Erfahrungen berichten. Die Schüler hätten sich jedes Mal über den «Unterricht» mit Adrian Mühlebach gefreut. Zwischen ihren Bisherigen und vier neu dazu gekommenen Schülern seien die Unterschiede spürbar. Sie lacht: «Manchmal macht mich auch der eine oder andere Schüler auf meine eigene Körperhaltung aufmerksam.»
Das Projekt «Gesunde Bewegung in der Schule» dauerte nur ein Jahr. Adrian Mühlebach hat seinen Einsatz als Lehrer für Alexander-Technik ehrenamtlich geleistet. Nun ist er dabei, zu Handen der Aargauer Gesundheitsdirektion eine Dokumentation zusammenzustellen. Es wäre toll, wenn das Projekt weiterlaufen könnte, hofft Mühlebach. Auch Anica Müller drückt die Daumen, dass es weitergeht. «Ich würde mich freuen, wenn es mit den Drittklässlern wieder klappen würde.»

Madlen Blösch

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Renate Lauper: «Von Kopf bis Fuss in Bewegung», Pro Juventute Verlag, Zürich, Fr. 34.80

Renate Zimmer: «Schafft die Stühle ab», Fr. 13.30, Herder Verlag

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www.alexandertechnik.ch
adrian.muehlebach@bluewin.ch